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Journalism of Things Conference 2019

Ein Erfahrungsbericht unserer Produktmanagerin ContentLine Silke Jungblut

Stuttgart, halb neun morgens. Es ist noch relativ ruhig auf den Straßen und auch das Literaturhaus hat noch geschlossen. Doch das soll sich bald ändern, denn die erste Journalism of Things Conference lädt zum gemeinsamen Austausch zwischen Sensorexperten und Journalisten, zwischen Studenten und alten Hasen und zwischen Disziplinen, die auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten jedoch erstaunlich viel miteinander zu tun haben.

Neben den Panels im Konferenzraum, die im Anschluss an die Präsentationen der Speaker auch eine offene Fragerunde zulassen, finden Workshops statt, in denen man selbst Sensoren bauen oder praktisch erfahren kann, wie Sensoren im Alltagsleben wirken und welche Ergebnisse sie liefern.

Auf der Suchen nach Antworten konzentriere ich mich auf die Diskussionsrunden, die sich mit Fragen zu Innovationen oder eben den bereits erwähnten Verbindungen zwischen Sensortechnik und Content beschäftigen und hoffentlich Ideen zur Neugestaltung des digitalen Journalismus beitragen.

Keynote

Zunächst spricht jedoch Keynote-Speaker John Mills vom Media Innovation Studio über seine Erfahrungen mit den oben erwähnten Themen. Er stellt Projekte vor, in denen er involviert war und plaudert über die Erfahrungen, die er in diesem Rahmen gemacht hat. Das Zusammenspiel zwischen Menschen und Objekten steht dabei im Vordergrund. So berichtet er von Menschen, die sich über eine App mit Dingen in ihrem Umfeld unterhalten konnten bzw. die Nachrichten derer abrufen konnten, die zuvor mit dem gleichen Objekt interagiert haben. Weiter berichtet er vom „Liverbird“, einem ausgemusterten Vogelmotiv, das zu schade war zum Wegwerfen und kurzerhand umgebaut wurde, um farblich die Fußball-Situation der Lieblings-Vereine zu visualisieren. Je nach Ergebnis färbt sich der gesamte Vogel entweder rot oder blau und zeigt so automatisiert die begehrten Informationen, die sich auf den ersten Blick abrufen und interpretieren lassen. Aber auch von Innovationen im Printbereich weiß John Mills zu berichten: Super8 nennt sich das Projekt, das leitfähige Tinte auf Papier bringt und über ein kleines Gerät Interaktion mit dem Papier ermöglicht. Wird das Gerät auf die leitfähige Tinte gesetzt, kann der Leser bestimmte Punkte auf dem Papier wie über einen Tastendruck aktivieren und der kleine Apparat liefert entsprechende Informationen. In unserem Bespiel Kommentare über eine berühmte Fußballbegegnung. Je nachdem, welche Verbindung bzw. welcher Endpunkt auf dem Papier berührt wird, stehen andere Informationen zur Verfügung. Eine Landkarte für Zeitungsartikel sozusagen.

Sensoren – Wie verändern sie den Journalismus?

Im ersten Diskussions-Panel geht es nun – ganz allgemein – um die Frage, wie sich Sensoren explizit für Journalismus einsetzen lassen können. Nicholas Diakopoulos, Wiebke Loosen, John Mills und Marco Maas erläutern die Bedeutung von Algoyrythmen im Zusammenhang mit Datenerhebung und welche Vorteile sie liefern können. Müssen immer Personen die Daten mit den eigenen Sinnen erheben oder ist das eine Arbeit, die man an Sensoren auslagern kann? Oder lassen sich auch Texte aus sensorisch erfassten Daten automatisch generieren und sind dann auch noch so gut, dass sie von den Lesern angenommen werden? Diese Fragen und solche zum Datenschutz in Hinsicht auf die Erhebung von Daten standen im Vordergrund der offenen Diskussion. Denn auch wenn Daten anonymisiert erhoben und verarbeitet werden, schwingt die ethische Frage nach der Durchsichtigkeit des Menschen immer hintergründig mit. Anders beim Zusammenspiel von Daten mit Nützlichkeit, die auf den ersten Blick wenig mit persönlichen Daten zu tun hat: ein Regenschirm, der blau leuchtet, wenn der Wetterbericht Regen voraussagt zählt zu einer smarten Umgebung. Wer macht sich da schon Gedanken darum, dass auch Wetter mit ortsabhängigen Daten zu tun hat?

Sensorendatenschätze heben

Im zweiten Panel geht es dann schon eher um sensible Daten. Laura Galamb von Teralytics beschreibt ein Projekt, das die Daten von Mobilfunkmasten sammelt und auswertet und so zur Ermittlung von Stoßzeiten im Verkehr beiträgt. Dabei versichert sie aber, dass die Daten nicht an Individuen gekoppelt sind und absolut anonym erhoben und gespeichert werden. Marco Maas dagegen erzählt ganz offen von seinem transparenten Umgang mit persönlichen Daten. Sein Staubsaugerroboter verkündet automatisiert, wann er das Wohnzimmer gesäubert hat und lässt seine Twitterfollower an seinen Aktivitäten teilhaben. Über den Kanal @sensorenresidenz lässt sich der Schmutzpegel in Herrn Maas Wohnung sozusagen live nachvollziehen.

Arvato Systems und Ricardo Gameiro berichtet unter anderem von einem Projekt, dass Kommentare in den Social Media auswertet und automatisiert beantwortet. Die Bedeutung von Chatbots im Allgemeinen gewinnt immer mehr an Relevanz, wie auch Michael Schmidtke von Bosch bestätigt. Dort werden umfangreiche Tests mit Chatbots durchgeführt, die menschliche Kollegen entlasten und das Kundenbedürfnis beantworten soll. Aber auch die Auswertung von Texten erzielt leser-relevante Ergebnisse: Nachdem ungefähr 11.000 Polizeimeldungen analysiert wurden, konnte eine sogenannte Crime-Map erstellt werden, über die sich Leser anzeigen lassen können, welche kriminellen Handlungen in ihrem Wohngebiet bereits stattgefunden haben. Ob man das immer so genau wissen möchte, lässt sich vermutlich auch mittels Daten herausfinden.

Journalismus der Dinge investigativ

Wie der Name schon sagt, wird im dritten Panel die Frage über investigative Themen erörtert.

Wir hören Erfahrungen aus Projekten, die sich mit Fahrraddiebstahl beschäftigen, aber auch über Satellitenaufnahmen, die Verstöße gegen die Menschenrechte aufdecken. Sensoren gibt es nahezu überall und die einzige physikalische Grenze, die es für sie zu geben scheint, ist die Lebenszeit der angeschlossenen Batterie. Letztere Grenze hat das Projekt zum Thema Fahrraddiebstahl über 2000 Euro gekostet, da nach dem Ableben der Batterie auch der GPS-Tracker am Fahrrad seinen Dienst quittierte und das gestohlene Gut natürlich nicht mehr aufgefunden werden konnte.

Aber ob es nun darum geht, herauszufinden, wie oft Paketboten auch tatsächlich an einer Tür klingeln oder nur das berüchtigte Nicht-angetroffen-Kärtchen in den Briefkasten werfen bis hin zu dem Nachweis, das mit Elektroschott im Nachhinein noch Handel betrieben wird, für typische Verbraucherthemen spielen Sensoren eine große Rolle.

Größer gedacht haben die Mitarbeiter von De Correspondent. Sie befassten sich mit den durch Fitness-Trackern erhobenen Daten und ermittelten die gelaufenen Routen von Personen. Bringt man diese ortsbezogenen Daten mit weiteren zusammen, wie beispielsweise Google Earth oder der Ermittlung von Höhenmetern, lassen sich interessante Rückschlüsse auf die Wohnsituationen der getrackten Personen ziehen. Bis hin zu der Situation, in der ein Mitarbeiter von De Correspondent einen Secret Agency-Agenten in dessen Zuhause aufsuchte und ganz offen fragte, ob er Geheimagent sei. Ergebnislos blieb diese Vorgehensweise natürlich nicht, wenn es auch keinen Ärger für die ermittelnden Datenerheber gab, wohl aber vermutlich für den ein oder anderen daten-geneigten Jogger.

Wenn man nun denkt, das sei schon ein dicker Fisch im Sinne der Datenerhebung, der sollte sich mal die Ergebnisse der Satelliten-Sensorik näher anschauen. Michael Anthony von Earth Analytics India Ltd. überrascht mit eindrucksvollen Bildern aus dem All, die neben dem Staunen über die hohe Auflösung auch empörte Reaktionen auslösen. Deutlich sichtbar und eindrucksvoll visualisiert sehen wir die initiierten Waldbrände in Südamerika wie ein kleines Leuchtfeuer über die Leinwand flackern. Aber neben der eher foto-orientierten Auswertung von Daten gibt es auch solche, die über Wärmebilder oder Bewegung funktionieren. Bis zu einem Millimeter genau lässt sich die Verschiebung von Landschaft tracken und so aufzeichnen, wo es zu illegalem Minenabbau kommt, sodass man gegen diesen vorgehen kann.

So werden Daten nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die nationale Sicherheit und die Einhaltung von Menschenrechten relevant und bedeutsam.

Journalismus der Bürger

Letzteres lernen wir auch im vierten Panel, das sich mit den bürgerzentrierten Daten beschäftigt. Neben einer Präsentation zur Akzeptanz und Transparentmachung von öffentlichen Daten gibt es auch einen Vortrag über die Bedeutung von Daten zur Vermeidung und Kontrolle von Fluglärm. Besonders im Rhein-Main-Gebiet spielt Fluglärm für viele Anwohner eine tragende Rolle, die lediglich über messbare Daten kontrolliert und gesteuert werden kann. Der Deutsche Fluglärmdienst e. V. beschäftigt sich bereits seit Jahren mit Daten zum Fluglärm und steht in ständigem Austausch mit der Politik und den Flughäfen, um die Belastung der Bürger gering zu halten. Was in Frankfurt begann, ist nun zu einem globalen Projekt geworden, das nicht mehr wegzudenken ist und besonders zur Erstellung von Gutachten in Gerichtsverhandlungen häufig zu Rate gezogen wird. Allein in Europa befinden sich knapp 770 Stationen zur Fluglärmmessung.

Die Idee eines Radmessers erhebt Daten zur tatsächlichen Situation für Fahrradfahrer auf Berliner Straßen. Wie viel Abstand halten Autos eigentlich zu den Radfahrern, wenn sie diese überholen? 2500 Freiwillige waren bereit, an der Datenerhebung teilzunehmen. Das Ergebnis wundert wenig: Die meisten Überholvorgänge geschehen mit zu wenig Abstand, da hilft auch ein Helm nicht weiter. Lösungen bietet diese Analyse erstmal nicht, aber sie macht bewusst und begreiflich, welchen Problemen wir im Alltagsleben ausgesetzt sind.

 Fazit

Auch wenn es immer wieder um die ethische und gesetzliche Frage zur Nutzung solcher Daten geht, wird in den Vorträgen schnell klar, dass Datenerhebung und -auswertung eine tragende Rolle bei Recherchen oder auch investigativen Themen spielen. Journalisten, die auf Probleme in ihrer Region oder auch international aufmerksam machen wollen, finden in den Sensor-Technikern hilfreiche Unterstützer, die zur Erstellung von Statistiken und Untermauerung von Fakten eine wichtige Rolle spielen. Das eigentliche Storytelling geschieht natürlich immer noch durch den Journalisten, aber die Möglichkeiten, die Sensoren im Rahmen der Recherche liefern können, sind enorm.

Ich bin gespannt, ob es im nächsten Jahr weitere Erfahrungsberichte zu Projekten oder zu sensor-recherchierten Inhalten gibt und bedanke mich für viele neue Erkenntnisse und aufgetane Möglichkeiten.